Themenspezial

Wenn Levin einen Badeanzug trägt

Levins Laufrad ist ein Motorrad. Im Kinderzimmer des Dreijährigen sind Spielzeugautos und die Holzeisenbahn der begehrteste Zeitvertreib. Außerdem ist er treuer Fan von Feuerwehrmann Sam. Sein größtes Idol ist aber nicht die Comicfigur aus Pontypandy, sondern seine große Schwester Helin (5). Weil sie sich die Finger lackiert, macht Levin das ebenso – und ihren Badeanzug trägt er auch.

Wie kommt es dazu? Wie leben Eltern ihren Kindern Geschlecht vor und welche Rolle spielt das in der Erziehung? Darüber berichten Dilara und Andi, die Eltern von Helin, Levin und Awin (8 Monate). Grundprämisse der beiden Elternteile ist, ihren Kindern keine Klischees vorzuleben. So haben sich die beiden von Anfang an entschieden, sowohl bei der Kleidung als auch beim Spielzeug eine neutrale Auswahl für ihre Kinder zu treffen. Dilara schränkt dazu aber ein, dass „es schon schwierig ist, in der Mädchenabteilung etwas Neutrales zu finden.“ Etwas Pink oder Rosa oder ein Herzchen sei bei der dort angebotenen Kleidung eigentlich immer dabei.

Neutrales Vorleben Zuhause ist das eine – der Einfluss von Freund*innen und von außen das andere. Obwohl es Zuhause keine Kleider und auch kein Haarspangen für ihre Tochter gab, änderten sich die Vorlieben von ihr. Seitdem Helin den Kindergarten besucht, findet sie alles, was rosa ist und dazu noch glitzert, besonders toll – wohl eine Folge von ihrem Freundeskreis dort. Dilara und Andi war wichtig, das nicht zu unterbinden, weil es die eigene und freiwillige Entscheidung ihres Kindes gewesen ist.

Ebenso wenig unterbinden die beiden, wenn sich ihr Sohn Levin die Kleidung seiner Schwester anzieht. „Sein größtes Vorbild ist gerade seine große Schwester und für ihn ist das toll, was sie macht und auch als Kleidung trägt.“ So kommt es, dass Levin regelmäßig mit dem Badeanzug seiner Schwester unterwegs ist. Bei der hypothetischen Frage, was wäre, wenn er auch in einigen Jahren noch den Badeanzug oder Kleider tragen wollen würde, wird es im Gespräch allerdings kontrovers: Dilara und Andi sind sich uneinig, wie sie damit umgehen würden. Die Sorge, die sie dabei umtreibt: Was würde ihrem Sohn widerfahren, wenn er mit typischer Mädchenkleidung in die Kita oder in die Schule gehen würde? „Wir hätten Angst, dass er zu leiden hat.“ – allerdings rein aus der Sorge, dass er in diesem Alter mit den Erwartungen, die klischeehafterweise an die Kleidung von Mädchen und Jungen bestehen, schlechte Erfahrungen machen würde. Dass ein kleiner Junge im Badeanzug zu Irritationen führen kann, haben die beiden schon erlebt: Dilaras Familie hat kurdische Wurzeln, „in meinem Kulturkreis lebt man, dass ein Mädchen ein Mädchen ist und ein Junge ein Junge“, so Dilara. „Dilaras Vater fand nicht lustig, dass sein Enkel einen Badeanzug trägt und sich die Finger lackiert“, erzählt Andi.

So trifft am Ende die Freiheit der*des Einzelnen auf die Reaktion anderer Menschen und der Gesellschaft. Das macht auch vor der Frage, wie viel individuelle Freiheit man seinen Kindern schenkt, nicht halt – und spielt damit auch in der Erziehung eine Rolle. Dilara und Andi haben in diesem Punkt vor allem die Befürchtung, dass es ihren Kindern nicht gutgehen könnte. Eine Leitlinie haben sie dazu aber auch schon parat: Sie würden ihr Kinder immer in dem unterstützen, was sie tun. Egal ob Glitzerkleid, Motorrad-Laufrad oder Badeanzug – Dilara sagt: „Ich liebe meine Kinder, so wie sie sind.“

-Kai Regener

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