Themenspezial

Auf dem Weg zu mir selbst

Bevor ich mich ans Schreiben dieses Textes gemacht habe, musste ich viel grübeln. Rollenerwartungen an mich als Junge und Mann – mit diesem Thema habe ich mich bewusst nur selten auseinandergesetzt. Und: zack! Schon nach diesem ersten Satz bin ich mittendrin im Thema.

Mein biologisches Geschlecht ist männlich und ich definiere mein soziales Geschlecht ebenfalls als männlich und bin heterosexuell. Damit gehöre ich zu der größten gesellschaftlichen Gruppe von Menschen, die unsere Gesellschaft maßgeblich prägt, wenn es um das Thema Geschlecht und Gerechtigkeit geht. Als Kind habe ich mit Jungsspielsachen gespielt, habe mich mit 13 das erste Mal in ein Mädchen verknallt und konnte mit meiner Jungsclique in der Öffentlichkeit das tun, was wir wollten, ohne dass das jemand seltsam fand.

Ich vermute, dass ich weitaus weniger entspannt auf den Findungsprozess meiner sexuellen Identität zurückblicken würde, wenn ich nicht-heteromännliche Rollenmuster aufgegriffen hätte.  Ich habe keine Diskriminierungserfahrung machen müssen, sondern konnte in die männlich definierten Rollenmuster, die vor meiner Nase lagen, einfach hineinschlüpfen. Zwar finde ich es schade, dass mir als Kind nur die eher männlich konnotierten Spielsachen angeboten wurden: Matchbox-Autos, Lego-Piraten, Playmobil-Ritter. Aber das ist vergleichsweise nichts, wenn ich erlebe, wie schwierig und verletzend der Weg für viele junge Menschen sein kann, wenn sie eine nicht normative Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung für sich entdecken und diese öffentlich leben möchten. Das vorne weg.

Wenn ich dann noch mal näher an meine Biografie herantrete, fallen mir einige Situationen und Erfahrungen ein, die ich mit dem Thema Erwartungen an meine Rolle als Junge oder Mann verbinden kann.

Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass ich als Kind in der Grundschule gerne mit Mädchen gespielt habe, auch mit Mädchenspielsachen, die ich Zuhause nicht hatte. Regina Regenbogen oder die Glücksbärchis fand ich ziemlich krass. Ich habe den Sportunterricht gehasst und war immer schon irgendwie mehr sozial unterwegs. Damit habe ich mich zwar nie als Außenseiter erlebt und hatte immer viele Freundschaften, aber wenn die Klassensprecher*innen gewählt wurden, bin ich meist nur Zweiter geworden, obwohl ich das Amt unbedingt wollte. In meiner Erinnerung waren es dann doch die sportlich Starken, eher Lauten, die das Rennen gemacht haben. Also Mitschüler, die männliche Rollenklischees viel stärker besetzt haben, als ich. Einmal haben wir Jungs zu Karneval einen CanCan, verkleidet und geschminkt als Tänzerinnen, auf die Bühne gebracht. Das ist eine sehr schöne Erfahrung, für mich besonders auf die Situation in der Klassengemeinschaft bezogen, weil die anderen Kinder das total gefeiert haben und es keine blöden Sprüche gab.

Als Jugendlichen haben mich zwei Peergroups besonders geprägt. In der KjG und im BDKJ, war es für mich einerseits wichtig meine Kumpels um mich herum zu haben. Waren wir nur unter uns, haben wir uns vermutlich einfach sicherer gefühlt, haben mehr Grenzen ausgetestet. Viele meiner heutigen Freundschaften, haben hier ihren Ursprung. Aber hier gab es auch einen klaren Machismus mit Schimpfworten, die ich heute ablehne und den damaligen Gebrauch als Fehler betrachte. Andererseits haben wir gemeinschaftlich mit Männern und Frauen die gesamte Jugendarbeit organisiert. Sicherlich gab es hier auch keine perfekte, geschlechtergerechte Welt, jedoch habe ich hier eine ganze Menge darüber gelernt und erfahren, wie Männer und Frauen auch jenseits der gängigen Rollenklischees zusammenarbeiten können. Leitungsämter waren paritätisch besetzt, gekocht wurde klar reihum, Leiter haben Bastel-, Tanz- oder Beautyworkshops ebenso geplant und durchgeführt wie Leiterinnen Basketballturniere, die Nachtwanderung oder den KjG-Bus gefahren sind.

Genauso wichtig war für mich die Schul-Theater-AG, wo manches anders war als in der Jugendarbeit. Dreh- und Angelpunkt war eine sehr charismatische Lehrerin, die uns gefordert und uns enorm viel zugetraut hat. Die Gruppe hatte eine starke innere Bindung, hier konnte ich mich ausprobieren und mein Horizont hat sich um viele, viele Kilometer erweitert. Ich habe zum ersten Mal erlebt, dass die heteronormativen Muster meines Umfeldes nicht in Stein gemeißelt sind. Dass jemand offen sagen und zeigen konnte „Ich bin schwul.“, war für mich wirklich neu. Ich kannte schwul auch als abfällige Bemerkung. Aber hier war Daniel schwul und Oliver auch und das war gut so. In den Stücken, die wir gespielt haben, wurden Rollen querbeet besetzt, es gab viele Ermutigungen sich herauszuwagen, sich auf der Bühne neu zu erfinden. Ich war eine Affenlady im Dschungelbuch, ein Folterknecht in Die Kinder des Teufels oder der Teufel selbst im Jedermann. Das war eine wichtige Zeit, deren Erfahrungen ich allen jungen Menschen wünsche.

Heute denke ich gemeinsam mit der KjG immer wieder über Genderthemen nach, die mir sehr wichtig sind. Ich weiß nicht, ob ich ein guter Feminist bin, aber ich setze mich immer wieder mit feministischen und Genderthemen auseinander, weil ich davon überzeugt bin, dass wir alle in dieser Gesellschaft hier ein riesiges Lernfeld haben. Hier geht es ganz einfach um Gerechtigkeit, an deren Verwirklichung jede*r mitdenken und -arbeiten muss. Ich konnte ohne seelische Verletzungen in meine Geschlechtsrolle reinwachsen, spüre keinerlei Benachteiligung durch meine Geschlechtsidentität. Damit das allen Menschen möglich ist, haben wir noch sehr, sehr viel zu tun.

-Philipp Büscher

 

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