Themenspezial

Am Anfang war das Wort: Warum es bei der Sprache anfängt!

Gendergerechte Sprache ist in aller Munde: Die einen nutzen sie und bemühen sich, sie gut umzusetzen, dazu zu lernen und sie im Alltag zu integrieren. Die anderen schimpfen darüber und monieren, dass das doch gar nicht nötig sei. Schließlich reicht das generische Maskulinum doch völlig aus! Oder etwa nicht?
Warum sollten wir gendern?

Sprache schafft Realität und unweigerlich auch Bilder im Kopf. Sehr schön verdeutlicht das diese kleine Geschichte: Ein Vater hat einen Autounfall zusammen mit seinem Sohn. Der Vater überlebt leider nicht, der Sohn wird schwerverletzt in das nächste Krankenhaus gebracht und sofort für die OP vorbereitet. Der Arzt, der operieren soll, betritt den Raum, wird sofort kreidebleich beim Anblick des Patienten und sagt: „Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn!“ Wie kann das sein?

Selbst mit dem thematischen Bezug zu geschlechtergerechte Sprache, kommen viele Menschen nicht auf die Lösung. Es wird zum Beispiel eine Regenbogenfamilie vermutet, also dass der Sohn zwei Väter hat(te). Dabei geht es in dieser Geschichte um die Mutter, die ihren Sohn im OP liegen sieht: hier wurde einfach nur nicht gegendert und statt „die Ärztin“ bloß „der Arzt“ geschrieben.

Wahrscheinlich würden die allermeisten Menschen, unabhängig davon, wie sinnvoll sie gendergerechte Sprache finden, hier die weibliche Form benutzen. Schließlich ist eine bestimmte Person gemeint und nicht die Masse. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, wie sehr Sprache die Vorstellung in unseren Köpfen beeinflusst. Jede*r hat zunächst das Bild eines Mannes vor Augen, wenn dort steht, dass „der Arzt“ den Raum betritt. Umgekehrtes Beispiel: Es gibt Kinder in meinem Bekanntenkreis, die ihre Eltern irgendwann fragten, ob eigentlich auch ein Mann Bundeskanzlerin sein kann – in ihrer Realität, geboren nach 2005, gab es immer nur Angela Merkel und damit eine Bundeskanzlerin.
Es gibt Berufe, wie Erzieher*innen, Grundschullehrer*innen, Entbindungspfleger*innen (auch „Hebammen“ genannt) oder Pfleger*innen („Krankenschwester“), die häufig nur in der weiblichen Form verwendet werden, während andere Berufe, wie Ärzt*innen, Ingenieur*innen, Bauarbeiter*innen oft im generischen Maskulinum stehen. Es zeigt sich also klar, welche Berufe die Gesellschaft eher weiblich gelesenen Personen zuordnet und welche eher männlich gelesenen (oder, wenn es wohlwollend ausgedrückt werden soll: allen Geschlechtern, schließlich meint das generische Maskulinum ja alle mit).

Würden nun alle Berufe konsequent gegendert, so würden Kinder im vollen Bewusstsein aufwachsen, dass sie alles werden können und das Geschlecht dabei keine Rolle spielt. Es wirkt nicht so, als stünden Berufe wie Pfleger*in hauptsächlich weiblich gelesenen Menschen offen, während Maschinenbauer*innen definitiv immer männlich sein müssten. Sprache schafft Realität!

Ganz unabhängig von Berufen, sollte Betroffenen einfach mal zugehört werden! Ein Mann hat keinerlei Recht, darüber zu entscheiden, ob Frauen oder nicht-binäre Menschen sich vom generischen Maskulinum angesprochen fühlen müssen oder nicht. Ich erinnere mich zu gut an den Aufschrei in 2020, als ein Gesetzestext im generischen Femininum geschrieben wurde. Da könnten Männer sich nicht mitgemeint fühlen, aber Frauen/nicht-binäre Personen wachsen damit auf, dass sie das immer und überall müssen.

Natürlich ist gendergerechte Sprache anfangs ungewohnt und auch nicht immer zu 100 % elegant. Es verlangt auch keine*r, dass jeder Mensch sofort perfekt gendert: Übung macht die Meister*innen!

Es gibt auch Ausnahmen, in denen gegenderte Sprache nicht verwendet werden sollte: In leichter und einfacher Sprache wird immer die kürzere Form verwendet und nicht gegendert, um die Sätze und Texte so einfach wie möglich zu halten. Da steht die Teilhabe der Menschen mehr im Fokus als Geschlechtergerechtigkeit und das ist richtig und gut so!

Wie sollte gegendert werden?

Im Detail führt das an dieser Stelle zu weit. Aber fest steht: wenn durch Gendern geschlechtergerechte Sprache erreicht werden soll, genügt es nicht, die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die Realität, dass es z.B. auch nicht-binäre Menschen gibt, die sich eben nicht als Mann oder Frau fühlen, muss genau so deutlich in Sprache umgesetzt werden. Spätestens seit der Einführung der dritten Geschlechtsoption in Deutschland wäre es ebenso diskriminierend nur die männliche und die weibliche Form zu nutzen wie es beim generischen Maskulinum ist.
Im Deutschen haben sich über die letzten Jahre drei wesentliche Formen etabliert, geschlechtergerecht zu gendern: Der Doppelpunkt „:“, das Gendersternchen „*“ und der Unterstrich „_“.

Durchgesetzt haben sich vor allem der Doppelpunkt und das Sternchen, aber es gibt keine Regelung, welches Zeichen benutzt werden muss, es bleibt also jedem*jeder selbst überlassen.

In der nachfolgenden Übersicht sind Vor- und Nachteile der beiden Varianten aufgelistet:

Vorteile Doppelpunkt:
  • Pausen beim Vorlesen sind beim Doppelpunkt bereits Gewohnheit
  • Auch handschriftlich leicht zu verwenden
  • Lässt den Text leichter lesbar erscheinen, weil weniger sperrig und gut ins Wort integriert
Nachteile Doppelpunkt:
  • Hat in der deutschen Sprache schon eine Bedeutung als Satzzeichen und wird häufig verwendet
  • Durchbricht das Wort nicht so stark, obwohl gendern ja auffallen soll
Vorteile Sternchen:
  • Sorgt für eine deutliche Unterbrechung des Wortes
  • Strahlt in alle Richtung, signalisiert Offenheit
  • Hat noch keine feste andere Funktion
Nachteile Sternchen:
  • Menschengruppen durch einen Stern zu markieren gab es in der NS-Zeit schon mal und hat einen faden Beigeschmack
  • Verändert das Wort optisch stark

[Oft wird der Doppelpunkt als besonders freundlich für sehgeschädigte oder blinde Menschen bezeichnet. Es gibt allerdings eine Stellungnahme des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands, dass aktuell keine Variante bevorzugt wird, da alle problematisch für sehgeschädigte und blinde Menschen sind. Deswegen wird auf dieses Argument hier verzichtet.]

Was sich etabliert hat, aber kritisch gesehen wird, ist das Schreiben von „Frau*“ oder „Mann*“, auch mit ein Grund, warum manche Menschen das Sternchen bevorzugen, da „Mann:“ oder „Frau:“ missverständlich wäre. Betroffene, also nicht-binäre oder trans* Menschen, lehnen dies teilweise ab. Für Transmenschen suggeriert es, dass sie nicht als Frau/Mann gesehen werden, sondern nur als Sternchen dahinter. Nicht-binäre Menschen macht man mit dieser Formulierung unsichtbar und es ist nebenbei auch nicht korrekt: Es sind keine Frauen/Männern, sondern nicht-binäre Menschen. Möchte man alle ansprechen, die sich z.B. als Frau fühlen, dann reicht „Frau“. Möchte man auch explizit die ansprechen, die sich von Frau nicht mitgemeint fühlen, dann löst auch „Frau*“ das Problem nicht, sondern es muss eine andere Lösung gefunden werden. („Jede dritte, von der Gesellschaft als weiblich gelesene, Person erfährt im Leben Gewalt von Partner*innen.“/ „Hygieneprodukte sind für menstruierende Personen ab jetzt kostenfrei erhältlich.“/ „Der Stammtisch ist für Frauen und nicht-binäre Menschen gedacht.“).

Korrekt und geschlechtergerecht kommunizieren ist ein stetiger Prozess. Wichtig ist, dass man es überhaupt versucht, anfängt und immer bereit ist, dazu zu lernen!

-Judith Oehl

 

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