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Unterwegs für Menschen­rechte und Gerechtigkeit

Jakob Frühmann ist schon lange begeisterter Segler und über das Yachtensegeln in Kroatien unter anderem zum Traditions­segler Thor Heyerdahl gekommen, der mit Jugendlichen jährlich über den Atlantik reist. Seit 2015 engagiert er sich beim Verein Seawatch, der aktuell mit seinen Schiffen Sea Watch 3 und Sea Watch 4 als zivile Seenotrettungsorganisationen auf dem Mittelmeer Flüchtlinge rettet. Neben seinem Engagement für den Verein ist Jakob auch als Nautiker an Bord der Schiffe im Einsatz gewesen. Wenn er nicht auf hoher See zu finden ist, lebt er in Wien und arbeitet als Lehrer und Autor.


Was sind Deine Aufgaben während eines Einsatzes für die Seawatch?
Ich bin als sogenannter AB auf dem Schiff, das ist die Abkürzung für able bodied seafarer. Im Deutschen würde man das als Matrose oder Deckshand bezeichnen. Ich bin Teil der nautischen Crew und mit den anderen für die sichere Führung des Schiffes und alle nautischen Operationen verantwortlich. Dazu gehören an Deck das An- und Ablegen, das Aussetzen der Rettungsboote, Kranoperationen und auch Instandhaltungsarbeiten.

Was ist Dein Job, wenn Ihr auf Flüchtlingsboote trefft?
Während des Rettungseinsatzes begleite ich die Rettung logistisch. Dazu bereite ich zum Beispiel Rettungsmittel wie Schwimmwesten vor und helfe dabei, die Gäste mit an Bord zu nehmen. Weil sie bei uns an Bord zu Gast sind, nennen wir sie übrigens Gäste. Sie werden mit unseren Schnellbooten von ihren Schiffen geborgen und dann bei uns erstversorgt – unter anderem auch medizinisch. An Bord ist dann auch meine Aufgabe, sich um die Versorgung der Gäste zu kümmern.

Was waren besonders beeindruckende Situationen während Deiner Einsätze auf dem Mittelmeer?
Im negativen Sinne ist es verstörend, wie das zentrale Mittelmeer zu einer „Blackbox“ geworden ist. Dort werden tagtäglich Menschenrechtsverletzungen begangen, mit Wissen und sogar mit Unterstützung der Europäischen Union. Das dringt aber selten nach außen. Im positiven Sinne beein­druckt mich, dass die Menschen trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse eine immense Stärke zeigen. Bei meinem vorletzten Einsatz war eine der Personen, die wir an Bord genommen haben, blind. Diese Person war schon vor ihrer Flucht über das Mittelmeer jahrelang ohne Augenlicht unterwegs. Auf der einen Seite ist das sehr tragisch, aber auf der anderen Seite sehr beeindruckend.

Welche Privilegien nimmst Du während Deiner Einsätze besonders wahr?
Ganz massiv meine Hautfarbe und damit verbunden meinen Reisepass. Mit Hautfarbe meine ich weiß als historisch-gewachsenes Privileg, geprägt von einem Europa, das sich durch den Imperialismus einen Großteil der Welt zu eigen gemacht hat. Diese Auswirkungen sind bis heute spürbar – mit meinem Reisepass ist besonders leicht zu reisen. Ich kann entspannt nach Kamerun fliegen – und zurück. Ein Kameruner kann das nicht.

Und wie ist das im Anschluss an Deine Einsätze?
Ich merke, dass es für mich ein Privileg ist, an einem solchen Projekt mitwirken zu können. Viele Menschen in meinem Umfeld in Öster­reich haben diese Möglich­keit nicht. Sie können sich nicht mehrere Monate im Jahr frei nehmen oder unentgeltlich arbeiten.

Du bist bekennender Christ und Religionslehrer – was muss Deiner Meinung nach ein*e gläubige*r Christ*in gegen dieses existierende Unrecht tun?
Provokant gesagt: Man sollte öffentlich Stellung beziehen gegen jede Politik, die sich christlich-sozial nennt, aber in Wahrheit das Gegenteil davon praktiziert.

Christsein bedeutet immer, sich in einer Gesellschaft verwurzelt zu sehen, die in vielerlei Hinsicht ungerecht ist. Es bedeutet auch, sich die Frage zu stellen, wo ich in dieser Gesellschaft den Hebel ansetze, um für gerechte Verhältnisse zu sorgen. Das muss natürlich nicht bedeuten, dass alle auf dem Mittelmeer mit einem zivilen Schiff See­notrettung betreiben – aber als Lehrer*in kann ich zum Beispiel meine junge Menschen dafür sensibilisieren, wo die blinden Flecken in dieser Gesellschaft sind.

— Kai Regener

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