Schwerpunkt

Nachgedacht

Über das Privileg, ein Recht auf Kunstfreiheit zu haben

Künstler*innen zeigen uns ein Spiegelbild mit allen Facetten von Schönheit und Hässlichkeit des Lebens. Sie brechen mit Traditionen, überschreiten Grenzen und hinterfragen Lebenswelten. Zuweilen sanft und unbemerkt, dann wieder ketzerisch und schmerzlich. Es sind die, die Realitäten überzeichnen. Die, die aussprechen, worüber geschwiegen wird. Die, die spotten, kritisieren und übertreiben, um Kritik zu äußeren. Um gehört zu werden! Früher und heute. Michelangelos Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle wurden als Gotteslästerung gesehen: Adam, Eva, Engel und Heilige – alle völlig nackt. Früher skandalös – heute große Kunst. Böhmermanns Schmähkritik auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde 2016 zur Staatsaffäre, Lisa Eckhardt öffnete mit ihrem Kabarett die unterste Schublade – rassistisch und sexistisch. Das ist für die einen grenzüberschreitend, für die anderen entlarvend. Und Tatort Kommissar Richy Müller stand in der Aktion #allesdichtmachen vor dem Erstickungstod. Geschmacklos?!

Was Kunst ist – das muss in einer Demokratie immer wieder diskutiert und definiert werden – gerade weil es die Freiheit weniger Privilegierte betrifft. Die Kunstfreiheit ist ein Grundrecht, das zu den am stärksten geschützten Grundrechten gehört. Es bewahrt den künstlerischen Ausdruck und wird nur im Einzelfall verhandelt, wenn ein schwerer Verstoß gegen andere Grundrechte vorliegt. Global betrachtet, ist es ein Privileg dieses Grundrecht zu haben, das kulturelle Vielfalt fördert und schützt. Wir leben in einem Land, in dem Künstler*innen frei sein können, auch wenn deren Kunst geschmacklos oder moralisch fragwürdig ist. Kulturelle Bandbreite statt homogener Einheitsbrei. Aus diesem Privileg – Kunstfreiheit in einem Grundrecht fest verankert zu haben – wächst die Notwendigkeit und Pflicht, Verantwortung zu tragen. Popularität nimmt viele Menschen mit und wer das Privileg genießt, im öffentlichen Raum eine Plattform zu haben, muss sich für die Konsequenzen seiner Kunst verantworten. Und darüber sollte sich jede*r bewusst sein. Immer wieder.

— Sophie Duczek

 

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