Interview mit Christoph Sieber, Kabarettist und Moderator der Mitternachtsspitzen
Check your privilege: Was sind für Sie Privilegien als Künstler?
Zuerst ist es natürlich ein Privileg in einer freiheitlich, demokratischen Gesellschaft zu leben, in der die Kritik am System eine Selbstverständlichkeit darstellt. Dann empfinde ich es als großes Privileg, beruflich das machen zu dürfen, was ich gerne mache. Und auch noch davon leben zu können. Was heißt: Ein Publikum zu haben für meine Kunst. Auch empfinde ich es als Privileg, dass ich mein eigener Herr bin. Ich bestimme meinen Alltag. Ich bin allein meinem Gewissen, meiner Lust und nur in geringem Maße meinem Bankkonto verpflichtet. What a privilege!
Meinungsfreiheit vs. Kunstfreiheit: Haben Künstler*innen mehr Freiheiten und Schutz als Normalbürger*innen?
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit. Beides sind Grundrechte. Was sich viele wünschen, die von „eingeschränkter Meinungsfreiheit“ reden, ist das Recht auf Meinung ohne Widerspruch. Was wir aber brauchen ist nicht mehr Meinung, sondern mehr Ahnung und mehr Aushalten von Widersprüchen. Künstler*innen haben also weder mehr Freiheiten und schon gar nicht mehr Schutz, aber sie haben eine größere Verantwortung.
Cancel Culture: Ist Kunstfreiheit in Gefahr?
Gerade in den sozialen Medien herrscht die Meinung vor, dass die Mehrheit immer Recht hat. Dabei irrt die Mehrheit öfter als sie denkt, denn Masse ist ja selten Klasse. Wenn aus Angst vor einem Shitstorm abseitige Meinungen (und ich möchte betonen: Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sind keine Meinungen!) nicht mehr geäußert werden, dann sind wir auf keinem guten Weg. Freiheit ist halt immer auch die Freiheit der Andersdenkenden.
— Die Fragen stellte Sophie Duczek