Sawsan Chebli wuchs als zwölftes Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie in Berlin Moabit auf. Nach dem Abitur studierte sie Politikwissenschaften und machte schon da erste Erfahrungen im politischen Arbeitsalltag. Seit 2016 ist sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.
Sie sind Muslima und feiern Weihnachten. Bitte ergänzen Sie: Weihnachten ist für mich …
… ein Fest, auf das ich mich auch als Muslima jedes Jahr freue. Meistens treffen wir Freunde und nutzen die freien Tage, um Menschen zu sehen, die wir gern haben, die wir länger nicht getroffen haben, um beisammen zu sein, aber auch um runterzukommen. Die Weihnachtszeit ist für mich eine Zeit der Ruhe.
Das Zuckerfest bedeutet mir …
… in vielerlei Hinsicht sehr viel. Das Ende der Fastenzeit ist ein Fest, an dem die Familie zusammenkommt. Verwandte aus aller Welt melden sich und ich höre vertraute Stimmen, die ich das ganze Jahr über nicht gehört hatte. Das Zuckerfest bietet uns die Gelegenheit einander zu sehen und miteinander zu feiern – auch als große Familie. Es ist insgesamt aber auch eine Zeit der Versöhnung und des Vergebens.
Sind religiöse Feste eine Chance, zwischen Gemeinschaften Brücken zu bauen?
Ja auf jeden Fall! Ich habe an vielen jüdischen Festen teilgenommen und es war immer eine Bereicherung. Auch ich lade meine jüdischen und christlichen Freunde ein, um mit uns gemeinsam das Zuckerfest oder das Opferfest zu feiern. Religiöse Feste können friedenstiftend wirken. Sie können Menschen zusammenbringen und aufzeigen, dass es viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen uns gibt, als viele vielleicht annehmen. Begegnung ist die Formel dafür, dass auf einer zwischenmenschlichen Ebene Vertrauen wächst und dass wir denen, die Hass verbreiten und uns spalten wollen, am Ende nicht das Feld überlassen, sondern den anderen Weg wählen: friedlich in unserer Gesellschaft zusammenzuleben – trotz aller Unterschiede. Dass wir voneinander und miteinander lernen.
Seit vielen Jahren gibt es die Diskussion, jüdische und/oder muslimische Feiertage zu gesetzlichen Feiertagen zu machen. Bis jetzt ist dies immer gescheitert. Sollte dieses Thema mit der nächsten Regierung nochmal auf den Tisch kommen?
In einigen Bundesländern ist dies ja zumindest in den Schulen schon Realität. In Berlin sprechen wir inzwischen nicht mehr von christlichen sondern von religiösen Feiertagen. Das bedeutet, dass z. B. muslimische Kinder auch zum Zuckerfest vom Unterricht befreit werden können. Dies gilt auch für das Opferfest und für Kinder jüdischen Glaubens zu wichtigen jüdischen Feiertagen.
Ein extra Antrag muss hierfür nicht gestellt werden. Etwas ähnliches würde ich mir auch bundesweit für junge Menschen in der Ausbildung aber auch generell für alle Arbeitnehmer:innen wünschen. Es würde der Realität in unserem Land entsprechen, wenn z. B. der erste Tag des Zuckerfestes ein bundesweit anerkannter Feiertag für Muslime würde. Dabei geht es mir gar nicht darum einen allgemeinen, arbeitsfreien Tag für alle zu schaffen, sondern darum, dass Menschen muslimischen Glaubens die Möglichkeit haben, sich hier zumindest einen Tag frei zu nehmen und diesen – für sie so wichtigen – Tag mit ihrer Familie zu verbringen.
— Die Fragen stellte Sophie Duczek