Schwerpunkt

Jugendsünde

Als ich 14 war, habe ich in der Sommerfreizeit in Spanien an einem kleinen Souvenir-stand an der Strandpromenade zusammen mit meiner besten Freundin einen Stimmungsring geklaut. Als Mutprobe. Herzklopfen für Modeschmuck. Ich hatte danach so ein schlechtes Gewissen, dass ich den Ring am nächsten Tag unauffällig in die Samtauslage zurückgesteckt habe. Mit 16 haben wir im Freundeskreis kunstvoll unsere Schüler*innenausweise aus Papier frisiert: Ein paar Jahre mehr für ein paar Stunden länger in der Disco. Gemerkt hat es niemand, zumindest hat niemand etwas gesagt.

Jugendsünden. Ein Dominoeffekt an negativen Assoziationen. Sofort denke ich an Erbsünde, Gut und Böse, Schuld, Strafe, an Dogmatismus und viel zu schlechtes Gewissen. Unverhältnismäßig. Vollgekritzelte Toilettenwände, kobaltblaue Haare, versoffene Nächte und Tattoos mit dem Namen des Verflossenen – vielleicht alles nicht glorreich, aber sicher keine Sünden. Vielmehr ein wichtiger Reifeprozess und ein Ausbruch, um sich selbst zu finden. Den eigenen Kompass.

Ich war mit 15 an Orten, an denen ich zu diesen Zeiten und in diesem Alter nicht sein durfte.

Am Wochenende telefoniere ich mit Stephan. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Jugendlichen. Er selbst war mal »auf der schiefen Bahn«, wie er sagt. »Es war keine einfache Regelüberschreitung – keine jugendliche Rebellion – es war ein strukturelles Problem. Ich war mit 15 an Orten, an denen ich zu diesen Zeiten und in diesem Alter nicht sein durfte.« Immer wieder brachte ihn die Polizei mitten in der Nacht nach Hause.

Zahlreiche Warnschüsse. Die Eltern waren unsicher. Und sie schämten sich. Was denken die Nachbarn? Was sagt die Schule? Verbote, Versuche, Therapien. Stephan brach immer wieder aus. Dann der Jugendwochenendarrest. Weggesperrt im Keller des Amtsgerichtes. Ein komplettes Wochenende – damals völlig normal. »Es war Horror und ich bin froh, dass mittlerweile andere Wege gefunden wurden, um Jugendlichen Grenzen aufzuzeigen und sie zu unterstützen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.« Mit der ersten Liebe wurde bei Stephan alles anders. Ruhiger. Er hat die Kurve gekriegt. Abi. Studium. Heute ist er Sozialarbeiter und plädiert für mehr Unterstützung und Räume für Jugendliche. »Kinder haben Spielplätze, Erwachsene alles andere. Und die Jugend? Sie haben kaum Raum.« Stephan ist für mehr Hand in Hand zwischen Jugendtreffs, Jugendämtern und Sozialarbeiter*innen. Für mehr Begleitung. Individuell. Und immer für eine zweite Chance.

— Sophie Duczek

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