Schwerpunkt

Interview mit Helmut Schießer

Entstehungsprozess

Der BDKJ-Diözesanverband Köln hat für junge Erwachsenen eine Gedenkstättenfahrt nach Theresienstadt geplant. Die Fahrt wurde auf 2021 verschoben, die Vorbereitungen liefen aber weiter. Sarah und Annika haben während der Vorbereitung ein Telefoninterview mit einem Zeugen der katholischen Jugendverbandsarbeit in der NS-Zeit und danach geführt.
Ihr könnt findet das komplette Interview auf dem YouTube-Kanal des BDKJ DV Köln


„Die Zukunft kann man nur gestalten, wenn man ein Verhältnis zur Vergangenheit hat und in der Gegenwart sich entsprechend engagiert.“

 

Lieber Herr Schießer, wie begann Ihr Engagement in der katholischen Jugendarbeit?

Als der Krieg zu Ende war, war ich 13 Jahre alt und hing den Soldaten, die aus dem Krieg kamen, buchstäblich an den Lippen, um von ihren Erfahrungen zu hören und auch zu lernen. Mit 18 Jahren wurde ich in unserer Gemeinde, in einem Vorort von Frankfurt, Jugendführer. Und dann gab’s nach dem Krieg eine Gliederung des BDKJ, die hieß Schar. Das war ein Relikt von der Sturmschar vor dem Krieg. Die war für mich ein wichtiger Impulsgeber, nach dem Krieg nicht nur romantisch am Lagerfeuer zu sitzen – dass ist auch sehr schön und wichtig gewesen – sondern auch politisch zu werden. Das habe ich der Schar ein Stück zu verdanken.

Sie sind 1931 und somit in die Nazi- und Kriegszeit hineingeboren. Was haben Sie damals in Ihrer Freizeit gemacht?

Mit zehn Jahren wurden alle Buben Hitlerjungen (HJ) und die Mädchen kamen zum Bund deutscher Mädchen (BDM). Die Nazizeit und die HJ bestand überwiegend aus Drill für uns. Und die Hitler-Jugend war jeden Samstag: antreten und marschieren, strammstehen. Da war immer den ganzen Samstagnachmittag Apell auf dem Schulhof – das ging mir auf den Geist.

Parallel dazu war ich mit zehn Jahren nach der Kommunion auch leidenschaftlicher Messdiener. Und da gab es hin und wieder Spannungen, z.B. weil Fronleichnam kein Feiertag mehr zur Nazi-Zeit war, aber Gottesdienst dennoch an diesem Donnerstag gefeiert wurde. Wenn ich dann hin und wieder zu spät in die Schule kam, bekam ich deswegen eine Ohrfeige.

Hat Sie die Messdiener Arbeit, besonders die Freund* innen dort, durch diese schwere Zeit getragen?

Das war ein wichtiges Element und ist es bis heute. Die Kirche lebt ja nicht nur vom Gottesdienst. Sie lebt ja durch die Gemeinschaft, von der Freundschaft, von Menschen. Und die habe ich in dieser frühen Kindheitszeit und frühen Jungendzeit durch diese Messdienerfreunde erlebt und diese Freundschaft ging natürlich auch nach dem Krieg nahtlos weiter über in den BDKJ.

Wie bewerten Sie die aktuelle politische Situation unserer Demokratie?

Die Demokratie ist immer gefährdet! Ich denke da nur an Trump. Der Rassismus heute, der Rechtspopulismus, die AfD – da muss man schon aufpassen. Man muss sich immer wieder für die Demokratie einsetzen. Unsere Demokratie ist soweit ich den Eindruck habe, trotz allem noch gut gefestigt.

Was glauben Sie, wie wir als Jugendverbände uns mit der Zeit im Nationalsozialismus beschäftigen können?

Mir fällt da ein Satz von dem ehemaligen DDR-Dichter Kunze ein: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, den kann es die Zukunft kosten.“ Also, insofern finde ich Ihre Arbeit, sich für die Vergangenheit, für die Zeitzeugen, für die KZs, Theresienstadt, Ausschwitz zu interessieren ganz wichtig. Dass das nicht in Vergessenheit gerät! Denn die Zukunft kann man nur gestalten, wenn man ein Verhältnis zur Vergangenheit hat und in der Gegenwart sich entsprechend engagiert.

Was muss katholische Jugendverbandsarbeit heute tun, auch ohne Zeitzeugen, um an die Vergangenheit zu erinnern und vor allem daraus zu lernen?

Also für meine Begriffe, ist es ganz wichtig, sich politisch zu engagieren. Da nimmt man die Ideen der Zeitzeugen vor 70 / 80 / 90 Jahren.  Die werden dann übersetzt ins Heute. Es gibt für die Umsetzung eine Fülle von Möglichkeiten. Es gibt über tausend NGOs in Deutschland, die sich auf unterschiedliche Weise für eine gerechte Politik, für Menschenrechte und Demokratie engagieren. Das halte ich das für ganz wichtig!

— Sarah Bonk und Annika Jülich


Helmut Schießer, 88 Jahre, ist Freischaffender Architekt. Er bezeichnet sich als engagierten Katholiken. Er war während des Krieges Messdiener und später in Jugendverbänden aktiv. Bis heute engagiert er sich bei Pax Christi und demons­triert gegen Atomwaffen


 

 

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