Schwerpunkt

Heimatlos in der katholischen Kirche?!

2021 gab es mit 359.338 Kirchenaustritten einen neuen Rekord*. In Köln wurde 2022 ebenfalls ein neuer Rekord aufgestellt: Es haben sich insgesamt 20.331 Per­sonen zu einem Austritt entschieden.

Klar ist, dass die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland seit Jahren stetig steigt – Ab­kehr vom Glauben, der Unmut, jeden Monat Kirchensteuer zu zahlen, keine Berühr­ungs­punkte mehr mit der Kirche, alternative spirituelle Angebote – die Liste der Gründe für einen Austritt ist lang. Es treten auch immer mehr Menschen aus, die tief im Glauben verwurzelt sind, aber nicht mehr über Skandale hinwegsehen können und wollen, durch die sich die katholische Kirche in den letzten Jahren immer wieder in den Schlagzeilen präsentiert hat. Kaum bis gar nicht aufgearbeitete Fälle von sexuellem Missbrauch, Weigerung der Segnung von nicht-heterosexuellen Paaren, der Umgang mit dem Synodalen Weg, die Weigerung, Frauen mehr Raum in der Kirche einzu­räumen – um nur mal die größten Skandale der letzten drei Jahre zu nennen. Das Image der Kirche hat ernsthaft gelitten und die Kritik geht mittlerweile weiter, als dass die Kirche nur ein von alten Männer dominiertes Feld mit veralteten Ansichten ist, die sich weder um Aufklärung noch um Renaissance bemüht.

Es wird nicht einfacher, sich hinter eine Kirche zu stellen, die diskriminiert und als Rechtfertigung Gottes+ Wort heranzieht, ohne selbst dahinter zu stehen. Es werden sich die Stellen aus der Bibel gesucht, die aktuelle Haltungen unterstützen. Nächstenliebe sucht man in den meisten Fällen vergeblich. Ganz zu schweigen von einer sicheren, diskriminierungsfreien Umgebung, in der man sich zu Hause fühlen kann. Gemeinden werben sogar damit, dass die katholische Kirche weltweit eine Heimat ist, die Schutz und Halt bietet. Das scheint aber nur zu gelten, wenn man zu keiner diskriminierten Gruppe gehört oder mit der Diskriminierung leben kann und bereit ist, über all die Skandale hinzuwegzusehen. Wie soll etwas meine Heimat sein, das nicht bereit ist zu akzeptieren wer ich bin, wen ich liebe und sich auch keine Mühe gibt, vergangene Skandale aufzuarbeiten und aufzuklären?

Als ich meine Verlobte kennengelernt und ihr erzählt habe, dass ich mich in der KjG engagiere und manchmal Lektor*innendienste in meiner Heimatgemeinde übernehme, bin ich auf sehr viel Unverständnis gestoßen. Es hat länger gedauert, verständlich zu machen, dass die KjG nicht die katholische Kirche ist und auch, dass ich das sehr wohl trennen kann zwischen einem Ehrenamt wie dem Lektor*innen­dienst und dem Verhalten der Gesamtkirche. Auch von anderen Bekannten kam und kommt immer wieder die Frage, wie sich das für mich vereinbaren lässt. Mittlerweile muss ich ehrlich sagen: Gar nicht mehr.

Unumgänglich ist, dass sich etwas ändern muss, wenn die katholische Kirche eine Zukunft haben möchte. Ebenso unum­­gäng­lich ist dafür allerdings auch, dass die Kirche selbst den Willen hat, sich zu verändern. Mittlerweile sollte aufgefallen sein, dass es eine große Unzufriedenheit gibt. Sei es durch die ganzen Kirchenaustritte, die immer weiter steigen; sei es, weil große Protestaktionen gestartet sind, als sich gegen die Segnung nicht-heterosexueller Paare ausgesprochen wurde; sei es, weil der Synodale Weg sehr deutlich gemacht hat, dass und wo es Handlungsbedarf gibt oder sei es wegen der Initiative #OutInChurch, bei der Mitarbeiter*innen sogar ihren Job riskiert haben, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen und für ihre Liebe und/oder Geschlechtsidentität einzustehen. Erste kleine Schritte der Veränderung wurden bereits gemacht, aber da ist noch sehr viel Luft nach oben, bevor sich wirklich wieder davon sprechen lässt, dass die Kirche eine Heimat für alle Menschen bieten kann.

— Judith Oehl

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