Schwerpunkt

Fußball, Bier & Autos

„Hey, where are you from?” – eine typische Frage, wenn man im Ausland ist. Auf den ersten Blick auch ganz klar zu beantworten: Aus Deutschland komme ich, vielleicht auch einfach aus meiner Heimatstadt dort. Aber auf den zweiten Blick fällt die Antwort manchmal gar nicht mehr so leicht. Denn abhängig von dem Ort, an dem man sich befindet, fallen die Reaktionen auch ganz anders aus. Deutschland – was löst dieses Wort, diese kurze Beschreibung von meiner Heimat in meinem Gegenüber aus?

Vielleicht schießen als erstes Fußball, Bier und Karneval in den Kopf? Vielleicht aber auch schnelle Autos, Ingenieurskunst und starke Wirtschaft? Vielleicht aber auch – nun, man weiß es eben nicht. Die Antwort „Ich komme aus Deutschland!“ erschafft bei unserem*r Gesprächspartner*in ein ganz bestimmtes Bild, ganz individuell. Und ob es unsere eigene Vorstellung von Deutschland, von unserer Heimat wiederspiegelt? Wahrscheinlich nur selten. Schließlich haben wir alle ein ganz eigenes Bild von unserer Heimat, in dem das Land Deutschland vielleicht auch keine große oder sogar gar keine Rolle spielt. Welche Bruchstücke unseres Heimatsgefühls gelangen dennoch nach außen? Welches Bild haben Menschen, die nicht in Deutschland leben von unserer Heimat?

Auf Reisen – besonders durch Ägypten und Indien – habe ich viele Erfahrungen mit Stereotypen gemacht und wie ich dort das Bild der Menschen auf Deutschland wahrgenommen habe. Was war Mythos und was habe ich vielleicht in mir selber wiedererkannt?

Welchen Stereotypen bin ich begegnet?
Ganz klar, Fußball! Kommt jetzt vielleicht über­raschend, doch Deutschland scheint weiterhin als großartige Fußballnation wahrgenommen zu werden. Und ich bin mir sicher, einige Menschen in Deutschland würden das sofort so unterschreiben. Und schnelle und gute Autos. In Ägypten begegnete ich einem Uber-Fahrer, der von seinem alten Volks­wagen geradezu schwärmte. Übrigens, beides Themen, die regelmäßig als Gesprächseröffnung genutzt wurden. Gut, das beschreibt wohl das Land und die Wirtschaft, doch welches Bild von den Menschen, die in Deutschland leben, habe ich kennengelernt?

„Stimmt es, dass ihr Deutschen keinen Spaß habt?“, fragte mich eine Mitstudierende während eines Spaziergangs. Ich war etwas perplex. „So ein Quatsch!“ Im weiteren Gespräch fiel dann auf, dass es ihr wohl besonders um die Arbeit ging. Deutsche würden ihre Aufgaben auf der Arbeit strikt durchziehen, ohne dabei zu trödeln oder Spaß zu haben und dann nach Hause gehen. Schlafen. Und wieder zur Arbeit gehen – so stellte sie sich ein Leben in Deutschland vor. Ich erklärte ihr, dass vielen Menschen wohl Trennung von Arbeit und Freizeit wichtig sei. Im Vergleich zu meinen Erfahrungen in Ägypten konnte ich aber durchaus ihre Annahme verstehen. In Ägypten gab es kaum sowas wie eine Aufteilung des Tages in Arbeitszeit und Freizeit. Gearbeitet wurde eigentlich immer ein bisschen, den ganzen Tag lang, aber die Pausen kamen dabei nicht zu kurz. So konnte es aber auch vorkommen, dass auch noch am späten Abend ein*e Professor*in die Studierenden zu einem Online-Meeting rufen konnte.

Für mich selber konnte ich das Bild von den ernsten Deutschen ganz klar verneinen. Aber dennoch begegnete mir diese Vorstellung öfter, nicht nur im Kontext von angeblich starker Arbeitsmoral, die keinen Platz für Spaß lassen würde. Auch ein Sinn für Humor wurde dem Bild von Deutschen abgesprochen. Lag es an einer Zurückhaltung im Auftreten in fremden Ländern? An einer minimal gehaltenen Mimik? Lag es vielleicht gar an meinem Auftreten? Stereotype und den Eindruck, den andere von mir als Person gewonnen hatten, auseinander zu halten, waren ebenfalls eine Herausforderung.

Ein für mich überraschender und auch unangenehmer Aspekt war der große Respekt, der mir bei der Erwähnung meiner Herkunft entgegengebracht wurde. Alleine durch mein Geburtsland sprachen die Menschen mir Eigenschaften zu, die meist positiv waren: White Privileges. Und auch diese angeblich positiven Aspekte bilden ein großes Puzzlestück in der Wahrnehmung von Deutschland in Menschen, die dort nicht leben. Deutschland als Versprechen, als mögliche Zukunft.

Nicht wenige junge Menschen lernen Deutsch in Ägypten. Es ist ganz klar eine Zukunftsmöglichkeit und Zuwanderung von gut ausgebildeten Arbeitskräften wird von der deutschen Politik gefördert.

All diese Erfahrungen haben mich veranlasst meinen Blick auf meine Heimat zu verändern, zu erweitern. Nach meinen Besuchen und Gesprächen achte ich nochmal sensibler auf den so offensichtlichen Wohlstand, den viele Menschen in Deutschland leben und genießen. Saubere Straßen durch die Infrastruktur der Müllentsorgung, Trinkwasser direkt aus dem Wasserhahn zuhause und die Macht, doch jederzeit entscheiden zu können, woanders zu leben und zu wohnen. Es sind nur kleine Aspekte, doch der Blick von Menschen aus anderen Ländern auf Deutschland und uns, die dort leben, hat mir selbst geholfen, meine Heimat neu zu entdecken.

— Selma Grüneberg

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