Schwerpunkt

An der Grenze

»Mein Kopf platzt – mein Herz bricht!«

Kennengelernt habe ich Darya damals bei der Caritas: Mutig, engagiert und wahnsinnig begabt. Sie spricht fünf Sprachen, hat zwei Studienabschlüsse – studiert hat sie in Russland und Frankreich. Ihre Familie lebt in Nowosibirsk – Darya wohnt in Köln, besuchte mehrmals im Jahr Familie und Freunde – bis jetzt. Wann sie sie wiedersehen wird, ist unklar. Darya ist politisch aktiv. In den sozialen Netzwerken und auf der Straße. Wahrscheinlich würde sie nicht mehr nach Deutschland zurückkommen, wenn sie jetzt einreist.

Zwei Tage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fährt Darya zusammen mit ihrem Mann Thomas an die Grenzen nach Polen, um zu helfen. Im Gepäck viele Fragen: Wird alles klappen? Wie ist die Stimmung? Welche Hilfe wird gebraucht? Und wie reagieren die Menschen auf eine Russin?

Ihr erster Halt ist Dresden mitten in der Nacht, von dort geht es am nächsten Tag weiter nach Warschau. Die Beiden wollen eine geflüchtete Familie treffen, mit denen sie übers Netz Kontakt hatten. Sie schreiben hin und her. Darya und Thomas bieten Hilfe an, wollen die Familie nach Deutschland fahren. Diese ist zögerlich – vielleicht Angst vor der fremden Hilfe? Zuviel Hilfe? Die Familie entscheidet, in Polen zu bleiben und kommt in ein Auffanglager in Warschau. Sie wollen in der Nähe bleiben und schnell zurück, wenn alles vorbei ist. Noch ist Hoffnung da. Und Polen ist ein Stück Heimat. Die Sprache, die Kultur – es ist ähnlich.

Darya und Thomas fahren weiter zur Grenzstation Hrbenne-RawaRuska. Stillstand. Geflüchtete kommen kaum durch. Eine Frau erzählt, dass sie schon seit gestern auf ihre Mutter wartet, die auf der anderen Seite der Grenze feststeckt. An der nächsten Grenzstation in Budomierz-Hruszwo exakt die gleiche Situation. Kein vor und zurück. Warten. Menschen suchen Familienmitglieder, Angehörige und Freund*innen. Der direkte Zugang zu der Grenze ist versperrt. Darya und Thomas erfahren, dass es an der Grenzstation Korczowa-Krakowiec in Mlyny ein großes Auffanglager gebe. Die Beiden fahren dorthin. Das Lager ist riesig und es ist viel los. Vor der Halle gibt es ein Check-in, Leute kommen an und werden abgeholt. Über Mikrophon laufen Durchsagen: Es werden Mitfahrmöglichkeiten und Unterkünfte angeboten. Eine Gruppe ukrainischer Student*innen hat für 150 Menschen Transport und Schlafplätze bei Privatpersonen in Krakau organisiert. Mit Darya und Thomas fährt eine Familie nach Siegen, die dort Verwandtschaft hat. Zum Abschied tauschen sie Nummern aus.

Es ist Daryas und Thomas Geschichte und ein kleiner Ausschnitt aus einem Moment im Februar. Wie Bedarf und Angebot heute sind oder morgen sein werden – schwer zu sagen.

Es ist März und Darya koordiniert jetzt die Ukraine- Nothilfe beim Verein kinderherzen – eine gemeinnützige Organisation, die herzkranken Kindern und deren Familien je nach Bedarf unterstützt – von der Vermittlung an Fachärzt*innen, der Planung von Reise und Unterkunft, Begleitung bei Behördengänge bis zum Dolmetschen. Es sind Familien, die neben den schrecklichen Kriegserlebnissen voller Panik sind, für ihre todkranken Kinder keine medizinische Hilfe zu finden. Darya vermittelt zwischen Patient*innen und Kliniken, organisiert die Reise und begleitet die Familien. So wurden in den letzten Monaten fünf herzkranke Kinder aus der Ukraine in deutsche Kliniken gebracht und versorgt. Sie bleibt weiter dran!

— Sophie Duczek

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