Schwerpunkt

Alle Jahre wieder

Weihnachten früher, jetzt und in der Zukunft

Im Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Sellmann von der Katholisch-Theo­logischen Fakultät Bochum über alte Rituale, die heutige Bedeutungen von Weihnachten und das Fest der Zukunft.


Kennen Sie religiöse Bräuche/Rituale rund um Weihnachten, die verschwunden sind?
Ah, es gibt so viele und so schöne und übrigens auch so kluge und weise Bräuche rund um Weihnachten, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. In meiner Jugend gab es einen tollen Tageskalender zum Advent, der hatte immer die Bräuche des Tages auf einen Blick. Da erinnere ich mich zum Beispiel an die Obstbaumzweige, die man am 4.12. (Gedenktag der Hl. Barbara) gepflückt hat und die dann genau am Heiligen Abend blühen sollten. Ob das heute noch viele machen? Bis heute ist mir jedenfalls jede Frau auf Anhieb sympathisch, die Barbara heißt. Was schon lange im Schatten steht, ist eigentlich die stark geistliche Idee, die Advents­zeit als Fasten- und Vorbereitungszeit auf Weihnachten hin zu gestalten. Das muss man ja nicht kleinherzig dagegen ausspielen, dass der Advent eben auch viel mit Bräuchen rund um Kekse und wohlschmeckende Geschenke zu tun hat. Man kann ja auch eine Sonderzeit für Gott ein­legen: 5 Minuten am Morgen, bevor der Tagesrummel losgeht. Oder am Abend, wenn er abklingen soll.

Wie ist Ihre Einschätzung: Entkoppelt sich die Weihnachts­zeit von ihrer religiö­sen Bedeutung? Wird die Motivation, Weihnachten zu feiern, immer mehr kulturell/sozial?
Schöne Frage! Auf den ersten Blick und theologisch ganz clean gesprochen, muss man sicher von Entkoppelung sprechen. Sehr viele feiern Weihnachten eben nicht als Fest der Menschwerdung Christi, sondern als Fest ihrer wichtigsten Partnerschaften und Bindungen. Es ist sicherlich auch in ihrer nicht dezidiert christlich gedeuteten Form eine der sensibelsten Zeiten des Jahres. Auch wenn ich das vielleicht zu romantisch sehe: Es scheint mir eine der liebevollsten und kreativsten Zeiten zu sein.

Aus christlicher Sicht ist es ein großer Wert, wenn Menschen ihre zentralen Bindungen gut pflegen; wenn sie ihre Familien und Freundschaften neu mit Liebe auftanken. Dieser gute Umgang miteinander war eines der großen Ziele Gottes mit der Menschwerdung seines Sohnes. Schön wäre es, wenn man gerade diese wertvollen Erfahrungen von Nächstenliebe mehr mit Gott teilen würde. Als Bitte um Segen für ›meine Leute‹. Als Dank für Geborgenheit und Respekt. Als Tatkraft für die, die keiner liebt.

Immer mehr Menschen wenden sich von Kirche und Glauben ab. Ihre Zukunftsprognose: Wie wird das Weihnachtsfest am 24.12.2100 aussehen?
Weihnachten ist ein sehr großes Versprechen – nur wenig kleiner als dieses andere Riesenversprechen der Christinnen und Christen, mit dem Tod sei nicht alles aus. Weihnachten sagt: Vor allem, was es gibt und mir begegnet, steht ein positives Vorzeichen. Wie vor einer Klammer bei einer Rechnung im Matheheft steht da ein fettes ›plus‹.

Gott ist kein Zuschauer der Schöpfung, sondern Du kommst ihm nah, wenn Du Dir selbst erlaubst, als ein echter Mensch zu leben, mit Gefüh­len, Schmerzen, Plänen und Freunden. Gott wird Mensch, und solange Du das mitmachst, gibt es diesen Unterschied zwischen einer Welt mit der Ahnung eines guten Gottes und einer Welt ohne diese Ahnung.

Was ich sagen will: Wenn es auch am 24.12.2100 Leute gibt, denen man diese Sucht nach dem Unterschied anmerkt, dann wird das Weihnachtsfest vielleicht mit Avataren gefeiert, es gibt Marzipan aus Tuben und der globale Christbaum wird nicht in New York, sondern auf dem Mars beleuchtet – wie auch immer, und man darf sich auf den Ideenreichtum kommender Generationen freuen: Es ist dann immer noch Weihnachten.

— Die Fragen stellte Sophie Duczek


Prof. Dr. Matthias Sell­mann ist Gründer & Direktor des Zentrum für angewandte Pastoral­forschung (zap). Das zap generiert aus der Zusammenarbeit mit innovativen Aufbrüchen in Kirche und Pastoral neue Erkenntnisse, Tools und Formate von Kirchenentwicklung.

 

 

 

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